Markus Rock – Das Ich und das Andere
FOTOGRAFIE 2014–2015
PRÄSENTATION & EMPFANG
23. NOVEMBER 2015 · 18–22 UHR
AUSSTELLUNG
24.–29.11.2015 · 12–19UHR
AUSSTELLUNGSHALLE IM KESSELHAUS
UFERSTR. 23 13357 BERLIN
24.–29.11.2015 · 12–19UHR
Markus Rock – das ich und das andere – Ausstellung Uferstudios – Pressemitteilung
Der menschliche Körper ist, je nach Perspektive, ein Objekt und gleichzeitig die Behausung des menschlichen Subjekts. Seine physische Existenz stellt seine Grenze dar, hinter welcher das Subjekt geborgen oder gefangen ist in einer Art von existentieller Einsamkeit. Nie werde ich wirklich fühlen können, was mein Gegenüber fühlt; nie werde ich seinen Platz einnehmen oder ganz mit ihm vereint sein können. Es wird für mich immer das Andere bleiben, das Unergründliche. Doch ist der Körper auch das Mittel, mit diesem Anderen in Kontakt zu treten, und diese mit unserer Geburt erworbene Einsamkeit zumindest partiell zu überwinden. Denn die Begegnung mit dem Anderen taucht mich in eine Wolke von Sinneseindrücken – seine Stimme, seine Berührung, seine Wärme oder Geruch – welche emotionale Spuren in mir hinterlässt, die letztendlich als Erinnerungen integriert werden. So wird das Andere Teil meiner Selbst und ich von ihm und wir durchbrechen so unser Gefangensein in uns selbst.
Doch stellt das Eindringen des Anderen in mich auch eine Bedrohung dar. Ich kann das unergründliche Andere weder ganz kennen noch kontrollieren. Wird es mich verletzen, emotional oder körperlich, oder mich so sehr überwältigen, dass ich nur noch das Andere fühle und denke und nicht mehr mich selbst? In der Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Anderen und der Furcht vor ihm gerate ich in einen Zwiespalt.
In seinen aktuellen Arbeiten beschäftigt sich Markus Rock mit diesem Dilemma, dem menschlichen Körper und der ihm innewohnenden Ambivalenz. Rock dekliniert hier einige der unendlich vielen Konstellationen dieses Konflikts. In seinen Bildern erscheinen die Körper in einem kontextlosen Vakuum – in ihrer Nacktheit und vor dem schwarzen Hintergrund – reduziert auf ihre reine Körperlichkeit, als Objekte, doch in der Begegnung mit dem Betrachter dann auch subjekthaft. Während die liegende Frau mit den geschlossenen Augen noch als passives Objekt fremd und verschlossen bleibt, treten die Männer, welche direkt in die Kamera blicken oder auch gezielt von ihr weg, deutlich als handelnde Subjekte in Erscheinung. Andere Figuren dagegen bleiben mit ihrem eigenen Körper als Objekt oder ihrem inneren Erleben beschäftigt – der tätowierte, vom Betrachter weg schreitende Mann, die Frau, welche sich an den Haaren zieht und die Frau, welche sich zwischen ihre Pobacken greift, der Mann, welcher seinen Kopf in den Händen hält. Auch in dieser Beschäftigung mit sich selber offenbaren sich diese Figuren als Subjekte, also als erkennende, selbst-reflektierte Wesen.
In den Bildern von den Paaren wird schließlich die Begegnung mit dem Anderen als ein ständiges Ringen miteinander gezeigt. Dabei stellt sich die Frage nach Macht – in Form des Eindringens, des Besitzergreifens, des Ausübens einer Kraft auf den Anderen – sowie die Fragen nach Identität – Wer bist Du? Wie funktionierst Du? Wie reagierst Du auf mich? Wie belastbar bist Du; wie belastbar bin ich? Dieses spielt sich ab vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen der Sehnsucht nach und der Furcht vor dem Anderen, zwischen Nähe und Distanz, dem Grundkonflikt aller menschlichen Beziehungen.
Wenn die Figuren direkt in die Kamera schauen, sozusagen mit dem Betrachter in Blickkontakt treten, wird schließlich besonders deutlich, was aber allen Bildern innewohnt. Hier begegnet auch der Betrachter selbst dem unergründlichen Anderen. Die Figuren sind fremd und nur als Bilder präsent, doch lösen sie in ihm Gefühle oder Gedanken aus – erotische, sehnsuchtsvolle, frustrierte, zwiespältige – und bilden Erinnerungsspuren, wodurch sie die Distanz zwischen betrachtetem Objekt und betrachtendem Subjekt überwinden. Der Betrachter mag sich dabei stellenweise sogar als das Andere erleben, welches er ja auch für sein Gegenüber ist, das heißt, sowohl als erkennendes wie auch erkanntes Selbst.
Eine Lösung dieses Dilemmas kann es nicht geben, und Markus Rock präsentiert auch keine. Jeder Mensch erlebt sich in dem Zwiespalt aus erkennendem Geist und körperlichem Objekt, als ein Ich und als das Andere. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen ist das Feld, auf welchem dieser Konflikt aufs Neue inszeniert wird. Schmerzhaft, wie das oft sein mag, bleibt es doch unsere einzige Hoffnung.
(2015 Jan Großer)